PGS Kahl - Schulzeitung

Ich kann mich an meine erste Begegnung mit der Macht noch gut erinnern. Der Chef kam rein und sagte: „Ach, Herr Holzke. Sie fahren heute den Notarztzubringer. Könnten Sie bitte gerade mal in die Stadt fahren und etwas holen. Sie können ruhig meinen BMW nehmen. Notarztzubringer und dann auch noch nicht wie üblich mit einem der anderen Fahrzeuge, sondern mit dem 5er BMW vom Chef. Einem Auto voll ausgestattet auf Höhe der damaligen Technik im Wert von ca. 100 000 Euro. Er drückte mir den Schlüssel in die Hand. In der Garage stand das Fahrzeug, sauber, einsatzbereit und agil. Ich fuhr in die Stadt. Fast automatisch legte sich mein linker Arm auf die Tür. Schranken, sonst unpassierbar, hoben sich auf Knopfdruck. Türen, meist für mich verschlossen, öffneten sich und dahinter bot sich mir ein Bild von Menschen, die so adrett aussahen und so gut rochen in ihren dunkelblauen Kostümen und Stöckelschuhen. Sie waren alle sehr nett und höflich. „Möchten Sie vielleicht noch einen Kaffee bevor sie wieder losfahren? Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Und dann kam, was kommen musste. Ein Einsatz. Das Funkgerät krächzte „Nehmen Sie den Notarzt auf und fahren Sie in die ........!“ Schon kurze Zeit später stieg die junge, hübsche Notärztin mit wehendem Kittel zu mir ins Fahrzeug. Sie schaute überrascht und lächelte: „Na das ist ja mal eine nette Überraschung.“ Mit quietschenden Reifen und Blaulicht sausten wir durch die Stadt. Keine Spur von Anspannung. Souveränität pur. Jeder und alles machte Platz, denn da kamen sie, Supergirl und Superman. Konnte es überhaupt irgendeinen Problem geben, das man mit diesem Auto, dieser kompetenten, gut aussehenden jungen Ärztin und mir an ihrer Seite nicht lösen konnte. Hörte ich da Obi-Wan Kenobi sprechen: Die Macht sei mit dir?“ Etwas wehmütig stieg ich nach Dienstende wieder in meinen kleinen, grünen R4. Was jetzt noch quietschte, war die Tür. Auf dem Beifahrersitz war nur eine weißrote Tüte mit einem gelben „M“ und einem Clown von einem amerikanischen Spezialitätenrestaurant mit kalten Pommes und abgestandener Cola vom Vortag. Seit dem bekam ich immer wieder Macht und sah viele Machthaber, viel Machtgehabe, Machtlosigkeit und Machtmissbrauch. Die Bibel beschreibt immer wieder Macht in seinen unterschiedlichsten Formen. König Saul z.B. verliert Macht, weil er ungehorsam wird und vergisst, von wem er seine Macht bekommen hat. König David wiederum behält seine Macht, trotz seines Ungehorsams, weil er immer wieder zum Machtgeber zurück kommt. Wir erhalten in der Schöpfungsgeschichte Macht geknüpft an einem Auftrag – bebaue und bewahre. Als Jesus zu Pilatus geführt wird, sagt dieser zu ihm: Weist Du nicht, dass ich die Macht habe, dich freizulassen, und die Macht habe dich zu kreuzigen? Und Jesus antwortete: Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben herab gegeben wäre. Manchmal stelle ich mir vor, wie Jesus das gesagt hat. Hat er dabei spöttisch gelächelt? Macht haben wir nicht; weder als Lehrer, noch als Eltern. Weder über andere und noch nicht einmal über uns. Macht wird uns gegeben und genommen. Aber eins haben alle diese Geschichten gemeinsam. Sie verdeutlichen, welche große Gefahr Macht birgt - die große Gefahr uns zu verändern, uns zu entfremden. Uns selbst und denen, die uns etwas bedeuten. Eine kleine Geschichte, kaum bekannt, trifft den Nagel auf den Kopf. Sie steht im Buch Richter. „Einst gingen die Bäume hin einen König über sich zu salben. Und sie sprachen zum Ölbaum: Sei unser König. Aber der Ölbaum antwortete ihnen. Soll ich meine Fettigkeit lassen mit der man Götter und Menschen ehrt, und hingehen und über Bäume schweben? Da sprachen die Bäume zum Feigenbaum: So komm und sei du unser König! Aber der Feigenbaum antwortet ihnen: Soll ich meine Süßigkeit lassen und meine köstliche Frucht und hingehen, über den Bäumen zu schweben. Da sprachen die Bäume zum Weinstock: So komm und sei du unser König! Aber der Weinstock sprach: Soll ich meinen Wein lassen, der Götter und Menschen fröhlich macht und hingehen und über Bäume schweben? Da sprachen die Bäume zum Dornbusch: So komm und sei du Dieser Satz stammt aus Carl Zuckmayers Stück „Der Hauptmann von Köpenick“. Wilhelm Voigt, eine schmächtige Gestalt, mager und etwas gebückt, spricht ihn, als er miterleben muss wie der forsche Gardeoffizier Schlettow als „’n janz deemlicher Zivilist“ nach einem Streit von der Polizei abgeführt wird. oder „Wat hab ick jesagt? Wie der Mensch aussieht, so wird er anjesehn.“ 2 lernen, leben, lachen

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